DER FALL JUDAS in der St. Canisius Kirche in Berlin

Muss DER FALL JUDAS neu aufgerollt werden?

Von Pater Manfred Hösl, Katholische Kirchengemeinde St. Canisius, Berlin-Charlottenburg

Chór Kameralny ADORAMUS, Marie-Luise Frost, Aleksander Bienias, St. Canisius Kirche, Berlin-Charlottenburg

Das theater 89 war am Palmsonntagabend mit einem Stück über Walter Jens‘ Judas in St. Canisius zu Gast.  Die Künstler debattierten das Für und Wider eines Seligsprechungsprozesses für Judas Iskariot. War der Erzschurke doch nicht so, wie alle denken? War er gar ein Märtyrer? Ein forderndes und nachdenklich machendes Stück an der Schwelle zur Karwoche!

Klaudia Höfig vom IPZ (internationales Pastorales Zentrum) hatte die Kontakte geknüpft und die Veranstaltung ermöglicht. Das theater 89 unter der Regie von Hans-Joachim Frank hatte einen der großen Texte des Literaturprofessors Walter Jens in Szene gesetzt. Was zunächst verrückt klingt, wurde im Laufe des Abends immer plausibler: Kann es sein, dass Millionen Christen Judas Iskariot Unrecht tun? Muss die Kirchengeschichte umgeschrieben werden?

Das Stück mutete nicht nur frommen Christen einiges zu. Zwei Stunden Text! Freilich gut aufbereitet, methodisch klug überlegt, musikalisch aufgelockert und insofern gut konsumierbar. Das Problem war der zumutende Inhalt.

Formal ging es um einen Antrag für einen Seligsprechungsprozess für Judas Iskariot, den Pater B. von den Franziskanern – die ja die heiligen Stätten in Israel bis heute verwalten – einzubringen gedachte. Der – gespielt von Michael Stark aus St. Johannes Baptist in Fürstenwalde – hatte sich selber auch eher widerwillig mit dem Thema Judas befasst, war dann aber immer mehr überzeugt: Judas war anders als wir meist denken!

Ohne Judas hätte der Heilstod Jesu nie stattgefunden! Ohne Überlieferer keine Überlieferung! Ohne einen radikalen Vollstrecker des Heilsplan kein Heil! Ähnlich wie man in der Osternacht von der „felix culpa“, der glücklichen Schuld Adams, zu singen wagt, so muss man auch Judas’ Verrat als letzte Erfüllung des Wunsches Gottes sehen! Und Jesus habe das gewusst! Der mysteriös klingende Dialog zwischen Jesus und Judas beim letzten Abendmahl („Was du tun willst, das tue bald“, usw.) war ein Dialog zweier Freunde, die wussten was ihnen beiden bevor stand. Kein Jesus ohne Judas – und umgekehrt! Der vermeintliche Verrat  war in Wirklichkeit ein letzter, ihm alles abverlangender Liebesbeweis! Judas ist kein Schurke, sondern ein Märtyrer! Petrus und die anderen sind gegen ihn nur Heils-Statisten!


Markus Mollitor, Michael Stark, Marie-Luise Frost, Aleksander Bienias

So muss es gewesen sein, so der Duktus des Stücks. Sollte denn Jesus tatsächlich Judas absichtlich in seinen Verrat und sein Verderben habe laufen lassen? Der, der gelehrt hat „… und führe uns nicht in Versuchung“, ausgerechnet der lässt einen seiner Jünger ins ewige Verderben schlittern? Ist da nicht eine abgrundtiefe, letzte heilige Absprache der beiden Heilsprotagonisten die bessere Erklärung?

Ronald Richter, Marie-Luise Frost, Michael Stark, Aleksander Bienias

Auch den Patriarchen von Jerusalem (gespielt von Ronald Richter vom theater 89) brachte der Pater zum Umdenken, eine wichtige Voraussetzung, sollte der Antrag auf den Seligsprechungsprozess überhaupt eine Chance haben. Wenn man das Unmögliche erst einmal möglich hält, dann findet man auch weitere Indizien. Etwa dass Paulus von einem fiesen Verrat eines Jüngers nichts zu wissen scheint. Ob der Völkerapostel um die Heilsbedeutung der „Überlieferung“ wusste? Hat Judas nicht in vorbildhafter Weise erfüllt, was Jesus gelehrt hat: Wer sein Leben retten will, wird es verlieren, wer sein Leben um meinetwillen verliert, wird es gewinnen? (Mt 16,25) Wer, wenn nicht Judas, hat dies bis ins Letzte befolgt? Beide starben am Holz: Jesus am Kreuz, Judas am Baum im Suizid. Ob nicht der sicherste Höllenkandidat der erste Himmelsbewohner ist, womöglich dort von Jesus selber begrüßt mit einem Kuss (sic!)?

Christian Schaefer, Marie-Luise Frost

Einspruch kam vom Glaubensanwalt, gesprochen von Christian Schaefer vom theater 89. Ja, wo kämen wir denn da hin, wenn wir den Bock zum Gärtner und den Judas zum Heiligen machen! Warum dann nicht gleich auch Satan selbst? Heiliger Luzifer – bitte für uns!? Absurd, makaber, grotesk sei das, so der Glaubensanwalt! Hier sei dreiste Textverfälschung und wüstestes Exegetisieren am Werk, hier wird die Wahrheit gegen den Strich gebürstet.

Der Antrag auf Seligsprechung wird zunächst abgeschmettert! Was in der Aufbruchsstimmung des zweiten Vatikanischen Konzils zunächst möglich schien, wird in den zähen Mühlen der vatikanischen Bürokratie erstickt und „zu den Akten gelegt“. Aber ist die vorgebliche Sorgfaltspflicht nicht vorgeschoben? Hier machte das Stück wohl ein paar satirische Sticheleien gegenüber der jüngeren Kirchengeschichte, wo in Rom auf den Aufbruchspapst Johannes XXXIII. der eher konservative Paul VI. folgte und die Reformfreudigkeit des Konzils zurückgenommen wurde.

Pater B. freilich ließ nicht locker im Vatikan! Aber allmählich wurde auf ihn selber auch immer mehr Druck ausgeübt. Er wurde jetzt sogar selber als „Judas B.“ tituliert und dämonisiert. Wer in der Kirche gegen den Trend anrennt, der braucht einen langen Atem … Wie dem auch sei!

Sind wir in der Kirchengeschichte den Falschen auf den Leim gegangen? Ist Judas der Gute und – z.B. der Evangelist Johannes – der Böse? Stammt nicht von ihm der fatale Satz „Ihr (die Juden) habt den Teufel zum Vater!“ (Joh 8,44)? Hat nicht Johannes dem späteren Antijudaismus, ja Antisemitismus den Boden bereitet und ist Judas nicht dessen erstes Opfer? Ist das übliche Judasbild nicht eine Schöpfung des Antisemitismus, der den Zorn gegenüber Juden erregen und Gewalt gegen sie rechtfertigen soll?

Solche und ähnliche Fragen warf das aufwühlende Stück auf. Keine leichte Kost! Auch kein Happy End. Aber es ging auch nicht um eine nette Abendunterhaltung sondern um eine Einführung in die Karwoche. Wer das Stück gesehen und gehört hat, der ist jetzt drin – in der Karwoche!